Linearraumtorpedos (I)


Kommentarnummer: 1827

Heftnummer: 2703

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

Weitere Teile:

            



Bei den von den Onryonen eingesetzten Linearraumtorpedos handelt es sich um 30 Meter lange Waffen mit einem kugelförmig verdickten Ende, in dem eine Ladung von enormer Sprengkraft stecken muss. Viele der eingesetzten Torpedos konnten zwar abgefangen werden, doch der Rest erreichte alle 77 Schiffe des Ghatamyz-Verbands – im Linearraum.
 
Eigentlich gilt der Linearraum – und das vor allem seit dem Hyperimpedanz-Schock von 1331 NGZ – als sicherer Rückzugsort. Zwar gibt es durchaus Möglichkeiten der Beeinflussung, aber ein solcher Angriff wurde bislang eher als ausgeschlossen betrachtet. Allerdings gibt es aus der Zeit vor der Hyperimpedanz pedanz-Erhöhung durchaus Beispiele, die zeigten, dass es nicht unmöglich ist. Im Alltag galt bis zum Angriff durch die Onryonen deshalb die Devise, dass derjenige, der es in den Linearraum schafft, auch in Sicherheit ist. Jedenfalls bis zum Wiedereintritt ins Standarduniversum, denn eine Verfolgung ist dank der Technik des Halbraumspürers selbst in Zeiten des erhöhten Hyperwiderstands weiterhin möglich.
 
Noch ist die Frage unbeantwortet, wie es dem Waffensystem genau gelingt, im Linearraum ein Ziel anzuvisieren und zu zerstören. Fest steht allerdings schon jetzt, dass die Schiffe der Onryonen eine ganz neue Dimension von Bedrohung darstellen; ihre Linearraumtorpedos verleihen ihnen ohne Zweifel erschreckende Macht. Vorerst jedenfalls – denn es wird natürlich alles darangesetzt, die eingesetzte Technik zu verstehen. Um die Problematik zu erfassen, müssen wir einen genaueren Blick auf den Linearraum und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten und Grenzen werfen.
 
Der Begriff Linearraum ist ein Synonym für Zwischenraum, Halbraum, Librationsraum oder instabile Librationszone. Libration – vom lateinischen Libra gleich Waage – bezeichnete ursprünglich in der Astronomie das scheinbare Pendeln des Mondes um eine oder zwei innere Achsen. Dem entspricht der Halbraumeffekt, bei dem es sich um die Kombination einer Koordinatenverzerrung (vor allem im Bereich der j-Achse) und der Rotation des Feldsystems handelt, wobei das Maß der Verzerrung wiederum eine stetige Funktion der Rotationsgeschwindigkeit ist.
 
Beobachtet wurde dieses Phänomen beim Kunstplaneten Wanderer während seiner 3,6-stündigen Rotation (PR 69) ebenso wie bei den Druuf-Raumern. Bei Letzteren hatte es stets gewirkt, als seien die Schiffe halb im Hyperraum und halb im Standarduniversum. Die Ortungsergebnisse zeigten Werte, als würde jemand ununterbrochen, aber ganz gemächlich und langsam aus dem Hyperraum kommen.
 
Später wurde deshalb von einem künstlich stabilisierten Schwingungszustand zwischen Normal- und Hyperraum gesprochen. Andererseits ließ sich die beim Halbraumfeld kombinierte Verzerrung und Rotation bis zu einem gewissen Grad auch als »fraktale Faltung« des Raum-Zeit-Gefüges interpretieren. Die eigentliche Feldgrenzschicht nahm eine Struktur an, die die in Verbindung mit dem Halbraum und dem Lineartriebwerk häufig genannte gebrochene Dimensionszahl von »4,5« erklärt – und für jenes Kontinuum steht, dessen übergeordnete Struktur sich »zwischen« der des Standarduniversums und des fünfdimensionalen Hyperraums befindet.
 
Ein tatsächliches Eindringen in »den« Hyperraum wird vermieden, das Raumschiff befindet sich beim Einsatz des Halbraumfelds eines Lineartriebwerks in einem künstlich aufrechterhaltenen Miniaturuniversum. Es ist somit in eine Enklave eingebettet, deren Grenzschicht zwar dem Halbraum entspricht – im Kernbereich jedoch ein Gebiet mit vertrauten raumzeitlichen Bedingungen bleibt. Die Materie ist stabil, Dilatationseffekte bleiben aus – es handelt sich quasi um die Mitnahme eines Stücks des Standarduniversums, während der linear-direkte Anflug eines Zielsterns mit hohem Überlichtfaktor anstelle eines rabiaten Transitionsmanövers eine viel sanftere Methode ist.
 
Da Ortung und Tastung auf Hyperbasis seit dem Hyperimpedanz-Schock allgemein eingeschränkt und behindert sind, gilt dies selbstverständlich auch für die »paraoptische« Erfassung des Standarduniversums während eines Linearfluges. Die Ortung erfolgt aus der Halbraumzone mittels eines Reliefstrahls – »einer hyperschnellen Funkmessortung auf der Basis parastabiler Feldkompensation« (PR-Werkstattband). Die übrige normaloptische Außenbeobachtung zeigt das für den Halbraum typische graurötliche, von dunklen Streifen und Schlieren durchzogene Medium. Die eingeschränkte Etappenreichweite ist – neben anderen Faktoren – unmittelbare Folge: Ein Zielstern in mehr als 1000 Lichtjahren Entfernung kann momentan gar nicht auf diese Weise erfasst werden. Ob das auch für die Linearraumtorpedos gilt, muss sich erst noch herausstellen.


Alle Seiten, Datenbanken und Scripte © PR & Atlan Materiequelle (1997 - 2019)