Gewonnen und verloren
Am 2.September 1346 NGZ erhielt Kirmizz die lang ersehnte Nachricht, dass mit der Konstruktion des Chaotenders VULTAPHER begonnen werden könne. VULTAPHER soll jedoch nicht in Hangay erbaut werden, sondern irgendwo in den Ressourcen-Galaxien rings um Hangay. Der an Bord der SOL empfangene Terminale Herold teilte dem designierten Piloten die Koordinaten des Bauplatzes mit, von denen Ronald Tekener annimmt, dass sie sich in der Milchstraße befinden (PR 2419).
Zu diesem Schluss kam er jedenfalls, als Kirmizz mit »VULTAPHERS Herz« aufbrach, der Station MINATERG, und Tekener im Ortungsholo die Kolonnen-Fähre, von allen 50 Chaos-Geschwadern begleitet, entschwinden sah. Die automatische Kursvorschau wies bei entsprechend »weitläufiger« Extrapolation auf Zielkoordinaten hin, die entweder in der Milchstraße oder in ihrem Halo lagen. Natürlich sagte der zuletzt angemessene Kursvektor gar nichts über das Ziel aus - das wusste auch der Smiler. Denn zunächst war der Grenzwall Hangay mithilfe der Raum-Zeit-Router zu überwinden, und nach dieser Passage konnte jeder nur mögliche Kurs eingeschlagen werden. Dennoch blieb angesichts der Kursextrapolation ein Gefühl, das mit dem Wort »schlecht« kaum beschrieben war. Tekener war und ist deshalb instinktiv überzeugt, dass MINATERGS Ziel in der Milchstraße oder in ihrem nahen Umfeld liegt …
Geblieben von Kirmizz' Aufenthalt in der SOL waren die technischen Ausstattungen, die auf Geheiß des Piloten an Bord gebracht oder installiert worden waren (PR 2419). Von der Terminalen Kolonne TRAITOR geliefert wurden zehn Kilogramm TEX (aka Salkrit) sowie insgesamt 18 als Energiekern bezeichnete 14,3-Meter-Kugeln, bei denen unbekannt bleibt, ob es nur Speicher oder Erzeuger im Sinne eines Reaktors oder Hyperzapfers sind, die aber zur zusätzlichen Energieversorgung der SOL von insgesamt einer Leistungvon 7,38 mal 10» Watt beitragen. Mit ihrer Unterstützung kann fortan das Hypertakt-Triebwerk mit Überlichtfaktoren von bis zu 1,8 Millionen betrieben werden - sofern sich die SOL nicht in Bereichen Hangays mit extremen Inkonsistenzeffekten bewegt.
Hinzu kamen drei »supratronische Projektoren« - unzugänglich verkapselte Zylinder von 55 Metern Durchmesser und 37 Metern Höhe -, die drahtlos än die Energiekerne angeschlossen waren und die Defensivleistung der SOL um einen Dunkelschirm sowie eine Fraktale Aufriss-Glocke ergänzten.
Dunkelschirme stellen eine Kombination aus Deflektor, Ortungsdämpfer und Schutzschirm dar und entsprechen in ihrer Abwehrkapazität etwa einem Paratronschirm. Fraktale Aufriss-Glocken wiederum bestehen aus einem Netz aus Strukturrissen mit fraktalem Muster, das Belastungen (Masse wie Energie) in den Hyperraum abstrahlt und umso dichter »gewebt« ist, je größer die Belastung wird. Während der maximale Ableitungsbereich normaler Paratronschirme der Schirmfeldoberfläche entspricht, vergrößert sich er sich bei der Fraktalen Aufriss-Glocke aufgrund der fraktalen Struktur der stark »gefältelten« Einzelaufrisse. Hinzu kommt die ohnehin höherwertige Natur der Aufriss-Glocke - immerhin ein »Hybridschirm«, dessen Paratronkomponente vergleichbar der Individualaufladung durch Baalols im ultrahochfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums »supratronisch aufgeladen« wird.
Nicht zu vergessen die vier Mobilen Rechenhirne, die SENECA kontrollierten und steuerten, sowie die Kolonnen-Mitglieder unter der Führung der Kalbaron Silathe an Bord, deren Auftrag lautete, die SOL zur Dienstburg SIRC zu überführen - zum Sammelpunkt Talsadaar, im Elgas-Sektor, nahe der Kernzone Hangay.
Kirmizz mochte zwar gewaltigen Groll auf den Progress-Wahrer Terkan von Voosar hegen und durchaus die Absicht gehabt haben, ihn für sein herabwürdigendes Verhalten ihm gegenüber nachträglich einen »bösen Streich« zu spielen - ein zeitweises Entkommen der SOL unter den Augen der Kolonne wäre also ein gezielter Nadelstich gewesen. Peinlich für den Progress-Wahrer und Kirmizz nicht mehr anzulasten. Aber Tekener glaubte völlig zu Recht nicht eine Sekunde daran, dass Kirmizz sie ernstlich laufen lassen wollte. Ganz bestimmt nicht mit den Energiekernen und den supratronischen Projektoren an Bord - und das unabhängig davon, dass dem Hantelschiff und seiner Besatzung in SIRC zweifellos kaum irgendein Nutzen, irgendein Recht auf Leben oder Fortbestand zugebilligt werden würde.
Wie die Ereignisse gezeigt haben, behielt der Smiler recht; es gelang, die, Kolonne auszutricksen. Die SOL ist zwar entkommen, aber um den Preis des Verlusts der supratronischen Projektoren. Angesichts der wiedererlangten Freiheit sicher ein hinnehmbarer Verlust
Rainer Castor
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