Nagelraumer und Spenta
Der Sayporaner Stradhaird verkündete: Der Abgrund ist euch nicht feind. Die Dunkelheit fürchten nur, hinter deren Augen es Nacht ist. Kehrt euch ab vom Licht der Welt. Wessen Geist erleuchtet ist aus seinem Innersten, braucht kein Licht mehr zu schmarotzen (...) Das Alte wird stürzen. Und wer sich an das Alte klammert, stürzt mit ihm. Wohl dem, der, wenn das Alte stürzt, geborgen ist im neuen Format. Denn wer mit dem Alten stürzt, dessen Untergang ist unumkehrbar! (PR 2607)
Weil er bei diesen Worten auf die untergehende Sonne wies, vermutete der Journalist Shamsur Routh, dass es sich um die Sonne drehe und es die als Auguren umschriebenen Fremden auf die Sonne abgesehen hätten.
Sollte er damit richtig liegen, gewinnen die Ereignisse rings um die Nagelraumer und Spenta samt ihren Aktivitäten in der Sonne möglicherweise noch eine ganz andere Bedeutung. Dies würde nämlich auf eine konzertierte Aktion hinweisen, die mit den Aktivitäten der Sayporaner begann, in die Versetzung des Solsystems mündete und neben der Entführung von 50.000 bis 200.000 Jugendlichen nun auch die Einflussnahme auf die Sonne beinhaltet.
Die als »Sonnennägel« umschriebenen Raumer sind 2600 Meter lang. Der Hauptkörper hat einen quadratischen Grundriss mit einer Kantenlänge von 200 Metern, während das Heck – der Nagelkopf – kuppelförmig gewölbt ist und bei einer maximalen Höhe von 150 Metern einen Durchmesser von 500 Metern aufweist. Die Raumer haben am Bug auf den letzten 200 Metern ein immer feineres Geflecht von Streben, Stangen, Fasern oder Tentakeln, welches verschiedenste Energieformen emittiert und als Energieorgan bezeichnet wird. Möglicherweise steht die ausgestrahlte Energie mit dem paratronartigen Schutzschirm und seinen unbekannten Komponenten im Dakkar- oder Sextadimbereich – also pedogepolter Natur – in Verbindung.
Bemerkenswert ist auch, dass der Hauptteil der Schiffe in einem unregelmäßigen Muster von organisch wirkenden, in einem tiefen Goldton glühenden Strängen wie von Venen überzogen ist: Adern, die aus dem Schiffsinneren hervortreten und in Richtung Bug verlaufen, während vom Pol der Kuppel wie von einem Vulkankrater Lavaströme ausgehen und die Wölbung in unregelmäßige Segmente unterteilen. Abschnitte, die wie von Hunderten Pailletten besetzt aussehen, welche mal rotgolden, mal in einem grellen Weiß glühen.
Die Nagelraumer sind nicht nur in die Sonne eingetaucht, sondern bis zur Konvektionszone vorgestoßen. Eine erste Aktion, die sich unzweifelhaft gegen den psimateriellen Korpus ARCHETIMS richtete, begann am 9. September 1469 NGZ gegen 18.15 Uhr und endete um 18.34 Uhr. Um 18.27 Uhr wurde überall im Solsystem ein heftiger Schmerz wahrgenommen, etwas wie eine schwere Migräne, bei der sich quasi alle Pein auf einen einzigen Augenblick konzentrierte.
Es wurde davon ausgegangen, dass die Fremden versucht haben, den Korpus aus seiner Ruhezone zu extrahieren, mit diesem ersten Versuch allerdings gescheitert sind. Aber sie haben keineswegs aufgegeben ...
ARCHETIMS Korpus als Kern des »sechsdimensional funkelnden Juwels« wurde, so die aktuelle Theorie, keineswegs nur in der Sonne versenkt, sondern auf vielfache Art und Weise mit der Sonne verschränkt – einschließlich der sechsdimensionalen Komponente. Nur ein Teil des Korpus befindet sich in der Chromosphäre, während ausstrahlende »psimaterielle Axone« als Fasern durch die Konvektionszone sogar bis in den Kernbereich Sols reichen. Die These des Sonnenphysikers Mofidul Huq lautet dazu: Die tote Superintelligenz wurde in einem Stern beigesetzt, weil dieser eine auf lange Sicht unerschöpfliche Photonenquelle ist. ARCHETIM liegt in einem lichten Sarg, in einem Monument aus Licht begraben. (PR 2607)
Resident Bull verwies allerdings darauf, dass das für Superintelligenzen reizvoll zu sein scheint und ein Sonnengrab keineswegs einmalig ist, sondern neben ARCHETIM auch von den Superintelligenzen LICHT VON AHN und APHANUR bekannt ist.
Shanda Sarmottes telepathische Exkursionen führten zur Beobachtung der Spenta, die sie als »mentale Tropfen« wahrnahm, die gemeinsam ein Mosaikbewusstsein, das Kollektiv einer Mosaikintelligenz, bilden. Als eine Art Emblem schälte sich aus den Emotionen ein heller, alles überstrahlender Energiemantel heraus – der eines blauen Überriesen, welcher für die Spenta ein Haus ist, das die mentalen Entitäten repräsentiert und ihnen auf diese Weise den Beinamen Sonnenhäusler beschert. Für sie ist ARCHETIM Schmutz, der etwas besudelt, entweiht hat – nicht nur profan im Sinne von Hygiene, sondern eine sakrale Sphäre berührend …
Rainer Castor
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