Langfristige Entwicklung (II)


Kommentarnummer: 1896

Heftnummer: 2772

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Die Schnellschuss-Wirkung des neuen Autarkiegesetzes des Jahres 2435 alter Zeitrechnung fiel zunächst gar nicht auf – vor allem, weil die beiden folgenden Jahre bis 2437 mit ihren Ereignissen um Dolans und Ulebs die Beschäftigung mit dergleichen »Nebensächlichkeiten« verhinderten. Andererseits trug aber genau das weiter zur wachsenden Unzufriedenheit bei, verstärkt noch durch die Tatsache, dass allein bis zum Mai 2436 98 Kolonialwelten von Dolans angegriffen wurden.
 
Neben der fehlenden Übergangsregelung offenbarte sich überdies eine mit dem Gesetz festgeschriebene Gesetzeslücke: Eine Handvoll Pioniere auf von Terra noch nicht beanspruchten Planeten genügte für die rechtliche Durchsetzung der Besitzansprüche mit allen damit verbundenen Möglichkeiten. Das Autarkiegesetz galt nämlich für die Direkt-Besiedlung und verpflichtete nur dann zur Anerkennung von Terras Oberhoheit. Ein »abgesteckter Claim« genügte also – und der Weg war frei für Unabhängigkeit vom ersten Tag an. Bereits 2436, nur ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, wurden einige hundert Planeten gezählt, die unter der Rubrik »systemautark« liefen; politisch und wirtschaftlich zwar ohne große oder gar bar jeglicher Bedeutung, waren sie für das Solare Imperium aber für alle Zeit »verloren«, wollte man nicht mit Flottenmacht auftreten und weitere Sympathien verlieren.
 
Abgesehen davon, dass Letzteres nicht zu einem Perry Rhodan als Großadministrator an der Spitze des Solaren Imperiums passte, gab es ohnehin genügend andere Probleme mit deutlich höherer Priorität: Die Notstandssituation des Solaren Systems im Oktober 2437 kennzeichnete die prekäre Lage – nach dem verheerenden Angriff der Dolans glich die Oberfläche der Erde einer Trümmer- wüste. Alle Planeten und Monde trugen Kampfspuren direkter Einwirkung oder aufgrund abgestürzter und explodierter Raumschiffe – Vulkanausbrüche à la Krakatoa oder Santorin waren im Vergleich dazu harmlose »Feuerzeuge«. Der Asteroid, der vor rund fünfzehn Millionen Jahren den 25 Kilometer durchmessenden Krater des Nördlinger Ries hinterlassen hatte, wurde auf 800 bis 1000 Meter Durchmesser geschätzt …
 
Dennoch hatten etwa siebzig Prozent der Erdbevölkerung überlebt – dank des lückenlosen Tiefbunkersystems, das auf Veranlassung Perry Rhodans bereits vor anderthalb Jahrhunderten fertig gestellt worden war. (PR 399) Siebzig Prozent von sieben Milliarden klang sehr beschönigend – bedeutete es doch ganz konkret, das allein auf Terra rund 2,1 Milliarden Tote zu beklagen waren!
 
Ver- und Entsorgungssysteme waren häufig beschädigt oder ganz ausgefallen, die vielen Toten sowie unzählige verendete Tiere verstärkten die Seuchengefahr. Trinkwasser war knapp, gleiches galt für Nahrung, medizinische Versorgung, Unterkünfte. Die Energieerzeugung verzeichnete Engpässe und Ausfälle, da die Kraftwerke bevorzugtes Angriffsziel der Dolans gewesen waren; Raumhäfen und Landefelder bedurften der Instandsetzung, Transmitteranlagen waren vernichtet.
 
Der zivile Sektor zeigte sich insgesamt verheerend. Die Wirtschaft würde nach ersten Hochrechnungen bei Mobilisierung aller Reserven der stärksten Siedlungswelten – von denen überdies ihrerseits viele von Dolan-Angriffen betroffen waren – mindestens rund ein halbes Jahrhundert benötigen, um den alten Stand zu erreichen. An den sofortigen Aufbau einer neuen schlagkräftigen Flotte war nicht zu denken.
 
Nein – in dieser Situation stand der Sinn nicht nach irgendwelchen Autarkie- gesetzen. Dennoch oder gerade deshalb forcierte mit dem Ende des Dolan-Uleb- Kriegs die Bereitschaft zur Ablösung vieler Welten vom Solaren Imperium – wenige Tage nach Abzug der Dumfrie-Flotte kündigten am 14. Oktober 2437 410 Welten die Zugehörigkeit auf. Vorgeschobene Begründung war vor allem, dass sich viele Siedler von Terra im Kampf gegen die Dolans im Stich gelassen fühlten. Im Grunde war es jedoch nur der letzte Schritt des seit langem laufenden Abtrennungs- prozesses – immerhin wusste bereits 2329 die von Iratio Hondro gesteuerte Gruppe »Schwarzer Stern« mehr als 250 stimmberechtigte Kolonialregierungschefs mit separatistischen Bestrebungen hinter sich, auch wenn der Austritt damals noch verhindert wurde.
 
Lordadmiral Atlan nannte den Vorgang ironisch die »zwangsläufige Fission großer Reiche nach entsprechender Inkubationszeit des Virus Unabhängigkeit« und verglich die Entwicklung der Jahre 2436/7 mit der Pionierzeit in Amerika: »Einerseits auf Unabhängigkeit bestehen, aber sofort Zeter und Mordio brüllen und die Kavallerie herbeizitieren, wenn's schwierig wird ...«


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