Messinghauben (II)


Kommentarnummer: 1884

Heftnummer: 2760

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Die Mental-Dilatationshauben versetzen das Bewusstsein des Trägers in einen simulierten Erlebniskontext, eine eigene Welt – eben die der Messingwelt. Die Personen, die sich innerhalb der Messingwelt befinden, sind die Messingträumer. Sie bezeichnen sich selbst auch als Spieler beziehungsweise Mitspieler. Das Bewusstsein kann zwischen zwei Modi wählen: Im luziden Modus ist und bleibt es sich bewusst, dass es sich in einer simulierten/virtuellen Welt bewegt – in einer Art Traum/innerer Holosimulation; im hermetischen Modus wird dieses Wissen für eine definierte Zeit ausgeschaltet.
 
Die Haube selbst vermag die Simulation zu erzeugen. Allerdings kann die Haube auch in einem Konnex genutzt werden, das heißt mit anderen Messinghauben und über sie mit anderen Bewusstseinen verbunden werden. Der Konnex kann hierbei zwischen einer Messinghaube und einer Positronik oder mehreren Positroniken eingerichtet werden, zwischen zwei oder vielen anderen Messinghauben. Auch bei dieser Kommunikation auf »(quasi-)telepathischer Übermittlungsbasis« handelt es sich um einen lautlosen Übertragungskontakt. Das heißt, es können Gedanken in das Bewusstsein anderer Lebewesen übertragen sowie bis zu einem gewissen Grad deren gedankliche (Vor-)Formulierungen erfasst werden. Das ist nicht mit echter Telepathie im Sinne von Gedankenlesen zu verwechseln. Da Letzteres bis zu einem gewissen Grad den Zugriff auf Gedanken und/oder Erinnerungs- engramme bedeutet, gab es zwar schon lange Versuche in diese Richtung, aber eine Umsetzung gelang nie in zufriedenstellendem Ausmaß.
 
Auch jetzt ist Derartiges auf die Messingwelt beschränkt. Der Komplexitätsgrad der Simulation einer Messingwelt hängt vor allem von den Konnex-Partnern ab – wenngleich natürlich die Leistungsfähigkeit der eingesetzten, positronischen Elemente als Hilfsmittel eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Maßgeblich sind allerdings Phantasie und Kreativität der Messingträumer selbst – verstärkt durch die Möglichkeit, auf Bereiche des Unbewussten Zugriff zu erhalten. Deshalb sind die Messingwelten nicht homogen, sondern ein polyphones, vielschichtiges Gebilde. Wie bei vielen normalen Träumen verändert sich auch im künstlich stimulierten »Traum« durch die Messinghaube das individuelle Zeitempfinden ihres Trägers. Im Unterschied zu anderen Simulationsverfahren dehnt sich allerdings für den Messingträumer grundsätzlich seine Gegenwart. Zurzeit liegt diese sogenannte Bewusstseinsdilatation beim Faktor eins zu zehn, das heißt: Innerhalb von einer realen Stunde erlebt der Träger unter einer Messinghaube zehn Stunden.
 
Die Geräte ermöglichen es also den Trägern, in kurzer Realzeit für eine deutlich länger erlebte Zeit in andere Welten einzutauchen. Der Effekt ist – aufgrund des technischen Ursprungs allerdings wenig verwunderlich – aus vergleichbaren Anwendungen bekannt: Bei der Hypnoschulung werden große Wissensmengen in kurzer Zeit vermittelt; bei der SERT-Haube können große Informationsmengen in kürzester Zeit verarbeitet werden und so weiter.
 
Hinzu kommt allerdings, dass ein Messingträumer sämtliche Sinne stimuliert und intensiviert erlebt. Er sieht, hört, riecht, schmeckt intensiver; er erlebt natürlich auch körperlich erfreuliche Kontakte intensiver. Gleichzeitig behält der Träger auf diesem Weg sein gutes Gewissen: Er ist ja nicht allzu lange aus der Realwelt abwesend gewesen. Es gibt inzwischen Gerüchte, dass das Dilatationsverhältnis weiter gesteigert werden soll; ein Faktor von eins zu hundert ist im Gespräch, sogar von eins zu tausend. Unabhängig davon bezeichnen Messingträumer die Realwelt als Zähe Welt, Träge Welt oder Langsame Welt. Allmählich setzt sich der Terminus Zähe Welt durch.
 
Das Bewusstsein eines Messingträumers kann paramechanisch mit einer Positronik auch dahingehend kommunizieren, dass es die Rechnerkapazität nutzt. Beispielsweise können sich Messingträumer an der Steuerung von Robotschiffen beteiligen. Potenziell könnten sie diese Steuerung sogar übernehmen – sie wären allerdings trotz Dilatation bei Weitem nicht so reaktionsschnell wie die Maschinen. Der Gewinn für den Robotraumer läge eher im strategischen Bereich: Mit dem Messingträumer kommt eine nicht-maschinelle Komponente ins Spiel, ein unberechenbarer Faktor.
 
Es besteht die Möglichkeit, Messinghauben auf ihren Besitzer zu prägen, das heißt: Sie arbeiten nur für den einen Träger, auf dessen mentales Muster sie geprägt worden sind. Neben den geprägten Messinghauben gibt es ungeprägte Messinghauben, die nach Belieben von verschiedenen Trägern benutzt werden können. Dennoch sind die Messinghauben keine Güter des alltäglichen Bedarfs, werden also nicht kostenlos verteilt und gelten als Luxuswaren.


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