Exotischer Informationstrip (1)


Kommentarnummer: 1771

Heftnummer: 2647

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

Weitere Teile:

            



Es ist eine bemerkenswerte Geschichte, die Shamsur Routh auf Gadomenäa bei seinem Trip im Universalen Spainkon der Sayporaner zu hören bekommen hat, dem kollektiven Gedächtnis dieser Kultur. Das Spainkon soll, wie Rouths Tochter Anicee sagte, dabei helfen, das Miniaturuniversum der Anomalie zu einer echten Heimat zu transformieren und zum Neuroversum zu erheben ...
 
Das Universale Spainkon unterscheidet sich von anderen Informationsnetzen der Sayporaner durch seine Möglichkeiten, sich mit anderen Archiven zu vernetzen – auch und vor allem mit nicht sayporanischen Entsprechungen. Routh bezeichnete es folgerichtig als Spionagesystem, während seine Tochter es lieber eine »informations-archäologische Technologie« nennen wollte.
 
Sofern Routh alles richtig mitbekam – was angesichts seines geistigen Zustands mit einem gewissen Fragezeichen zu versehen ist –, hat das Spainkon Kontakt zu einem ganz besonderen Hort von Informationen erhalten. Zu einem Archiv, das lange eingekapselt oder bewusstlos war. Jedenfalls für uns handelt es sich um einen »alten Bekannten« – nämlich um das Kontinuierliche Sediment der Brückenwelt Faland. Jenes Totenhirns, von dem der am 10. September 1469 NGZ gestorbene Zachary Cranstoun ein Teil geworden ist, nachdem sein Gehirn in das komplexe neuronale System von Gehirnen integriert wurde. Damit wurde er auch ein Teil der permanent aufgeschichteten Erinnerungs-Sedimente, die deutlich mehr sind als nur ein Depot von Gehirnmasse, sondern laut Cranstoun etwas, das sein eigenes Universum erschafft. Nicht aus Materie, sondern aus Erinnerungen – ein Mnemoversum.
 
Genau in diesem ist Cranstoun zu Bewusstsein gekommen – wörtlich: »Ich bin, obwohl ich mein Leben verloren habe.« Allerdings hat er Zweifel daran, ob es wirklich genau sein Bewusstsein ist, zu dem er gekommen ist.
 
Cranstoun weiter: »Die Gehirne in diesem Komplex leben. Ich habe immer noch nicht begriffen, wie viele Gehirne hier zusammengeschlossen sind. Vielleicht lassen sie sich gar nicht zählen. Sie leben schließlich kein isoliertes, individuelles Leben mehr. Ihre Synapsen verbinden sich. Sie verknüpfen sich mehr und mehr miteinander. Kannst du dir das vorstellen? Schon ein normales menschliches Gehirn mit seinen tausend Milliarden Nervenzellen bildet eine Billiarde Synapsen. In diesem Sediment vervielfältigen sich diese Verbindungen noch einmal, potenzieren sich. Die Gehirne werden ein großes neuronales Ganzes. Sie werden zu einem Totenhirn.« (PR 2645)
 
Dieses Totenhirn versucht sich das Informationsnetz der Sayporaner zu erschließen. Nur deshalb kam es zum Kontakt zwischen Routh und Cranstoun – und damit zu der Möglichkeit, die keineswegs lückenlos im Kontinuierlichen Sediment dokumentierte Vergangenheit zu erfahren. Das Gros ist bestimmt von Erinnerungen der Favadarei; ihr Leben auf Faland, die wunderlichen Erfindungen, ihre Versuche, auf die Brücke vorzustoßen. Die älteste Schicht führt dagegen in die Gedankenwelt der großen alten Gehirne, der allerersten Chaom-Gehirne – und damit zur Geschichte von ALLDAR.
 
In der Galaxis Khooch legten die Chaom ingichiy chaodhas buchesgha – was als Chaom – das funkelnde Diadem der Schöpfung übersetzt werden kann – den Ursprung, als sie Skulpturen von Dahingeschiedenen schufen. Diese enthielten einen Teil von ihnen, weil den Chaom der Gedanke eines restlosen Verlustes eines Verwandten oder Freundes unerträglich erschien. Die Aufgabe der Thanatotekten war die Herstellung von Statuen, deren Lebenserhaltungssysteme Kapseln für neuronale Substanzen und Strukturen und damit Teile des Gedächtnisses bewahrten. Die Wartung und die rituelle Betreuung der Skulpturen übernahmen die Wohlverwahrer.
 
Waren in manchen Glücksfällen Wohlverwahrer und Thanatotekt ein und dieselbe Person, genoss diese höchstes gesellschaftliches Ansehen. Solche Chaom waren hochrangige Mediker, Künstler und Seelsorger in einem.
 
Anfangs blieben Thanatotekten und die Raumfahrttechnologie getrennte Sphären. Das änderte sich, als Militärtechniker eine Positronik schufen, die, wie die Skulpturen, Hirnsubstanz von Chaom enthielt und zu eigenständigen Entscheidungen, Gefühlen und Intuition fähig war. Die so entstandene Mentronik entsprach in gewisser Weise also den auf terranischen Biopositroniken, unterschied sich jedoch insoweit, weil nicht irgendwelche Hirnsubstanz, sondern wahre zerebrale Schmuckstücke verwendet wurden: Hirne oder Hirnareale der erfahrensten Raumadmiräle, Strategen, Navigatoren und vergleichbaren Persönlichkeiten.
 
Das alles geschah vor drei, vier, vielleicht sogar fünf Millionen Jahren …


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