Fremder gleich Feind ?


Kommentarnummer: 1746

Heftnummer: 2622

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Angesichts des Aufruhrs der Natur in den miteinander teilverschmolzenen Galaxien von Escalian kann zumindest auf diesem Gebiet nicht von Harmonie gesprochen werden. Für die Bürger des Reichs der Harmonie, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit alle als Escalianlo umschrieben, gilt das schon eher. Die Escalianer verstehen sich als »Mitglieder, Zugehörige, Teil der Gemeinschaft des Reichs der Harmonie«.
 
Die damit verbundenen Hintergründe – für die Einheimischen denkbar normal und Teil der Lebenspraxis wie des Alltags – erschließen sich einem Außenstehenden wie Alaska Saedelaere jedoch nicht ohne weitere Erklärungen, denn allen Fremden wird mit einem paranoiden Misstrauen, um nicht zu sagen Feindschaft begegnet.
 
Ausgangspunkt dieses Verhaltens ist die TANEDRAR genannte Superintelligenz, welche sich im Reich der Harmonie deutlich intensiver einmischt als beispielsweise ES in seiner Mächtigkeitsballung. Jedes Individuum in Escalian erhält nämlich von Geburt an einen »paranormalen Begleiter« und ist auf diese Weise quasi mit TANEDRAR direkt verbunden, ohne jedoch zu einem Teil der Superintelligenz zu werden. Das dürfte TANEDRAR unter dem Strich dennoch einiges an Kraft kosten, da die den Individuen zugeordneten »Splitter« zwar winzig sind, ihre Gesamtzahl jedoch gewaltig ist.
 
Jeder Escalianer wird auf diese Weise zu einem Harmonieträger – Escalant (Plural Escalanto) in der hiesigen Lingua franca. Ausgehend vom Schlüsselbegriff Esca – Harmonie – kann Lant mit »Träger/Inhaber von« übersetzt werden, während die normalerweise unsichtbaren und immateriellen »Begleiter« als Harmoniebewahrer oder Escaran umschrieben werden. Die vom jeweiligen Individuum mitunter ab der Pubertät dennoch wahrgenommene »Gestalt« des eigenen Begleiters entspringt nur der Imagination, sodass es Tiere, Pflanzen oder sonstige »Wesen« sein können, die »gesehen« werden.
 
Aufgabe der Harmonieschulen ist, den Heranwachsenden in der Pubertät ihren eigenen Begleiter bewusst werden zu lassen – eine vor allem durch intensive Meditation erreichte Prozedur. Der Escaran einer anderen Person wird danach als »Anwesenheit« wahrgenommen – sprich: Alle erwachsenen Escalianer erkennen, dass die anderen ebenfalls einen Escaran haben und somit Harmonieträger sind; »sehen« können sie diese Begleiter zwar nicht, aber es ergibt sich eine »große Gemeinschaft (der Harmonischen)«, die überdies eng an TANEDRAR gebunden ist.
 
Nur in besonderen Situationen – einerseits beim Höhepunkt des Rituals von Ankunft und Aufbruch, andererseits wenn sich TANEDRAR konkret auf ein Einzelindividuum konzentriert – können sich die Begleiter zu materiellen Projektionen »verfestigen« und sind dann von allen zu sehen.
 
Unabhängig davon ist die Anwesenheit der Escarano das, was ein Harmoniewächter/Escabor wie Lydspor metaphorisch als »Stallgeruch« umschreibt; sie können nämlich die paranormal wahrnehmbare Anwesenheit der Harmoniebewahrer/Escarano »riechen«.
 
Hauptaspekt dieser Verbundenheit von allen mit allen ist, dass alle in Frieden mit ihren Nachbarn – den anderen Völkern des Reichs – leben, gleichzeitig aber ihre Aggressionsfähigkeit erhalten, die sich gegen »Bedrohungen« beziehungsweise alles von außen richtet. Dass die Superintelligenz TANEDRAR diese »Zersplitterung« nicht aufgibt, liegt zweifellos daran, dass die »Begleitung«/Harmonisierung der normalen Lebewesen ein Selbstläufer zur Wahrung des Friedens darstellt: Alle Escalianer erkennen ihre »Brüder und Schwestern«, ganz gleich von welcher Spezies, und setzen sich für das Gemeinwohl ein, während sie jedem Eindringling von außerhalb der Mächtigkeitsballung mit Misstrauen und Aggression entgegentreten – dieser hat ja keinen Begleiter/Harmoniebewahrer.
 
Somit erfolgt unweigerlich die Gleichsetzung Fremder gleich Feind!
 
Jemand wie Alaska Saedelaere ist sich angesichts dieser Informationen bewusst, wie beeinflussend die »Harmonisierung« der Escalianer letztlich ist: Mögen Verstand und Logik noch so sehr etwas anderes sagen – das durch die unsichtbaren Harmoniebewahrer erzeugte Misstrauen allem Fremden gegenüber, das nicht über diese Kennzeichnung verfügt, ist derart intensiv, dass es nicht einfach mal »zur Seite gefegt« werden kann.
 
Intern betrachtet mag die Harmonisierung der Förderung des Gemeinwohls dienen und positiv sein, doch jeder Kontakt mit Fremden wird grundsätzlich erschwert, um nicht zu sagen unmöglich gemacht – zumal doch das System noch andere Schwachstellen aufweist …


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