Flucht durch die Galaxis


Kommentarnummer: 1103

Heftnummer: 1979

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

Weitere Teile:

            



Shabazzas Flucht bietet eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal mit den heimatlichen Gefilden und ihrer wahren Größe zu beschäftigen, denn viel zu leicht und schnell will sich mit Blick auf hochmoderne Kommunikationsmittel und die Berichterstattung der Medien der Eindruck eines »Dorfcharakters« einstellen, der so naturgemäß keineswegs zutrifft. Sicher, in vielem gleicht die Entwicklung der irdischen im ausgehenden 20. Jahrhundert: Trivid-Nachrichten »aus aller Welt« vermitteln vordergründig das irrige Gefühl, bei Ereignissen förmlich dabei zu sein, dreidimensional, farbig, geruchs- und gefühlsecht, wie es so schön heißt. Ob der neueste Modetrend auf Arkon I, die Ratsdebatte auf Drorah oder die exquisitesten Menüs von Gatas, ob Naturkatastrophe auf Zalit oder Raumschiffabsturz auf Topsid: Nachrichten verbreiten sich rasend und im wahrsten Sinne des Wortes mit Überlichtgeschwindigkeit, und die immense Vielfalt von Kanälen und Möglichkeiten - selbstverständlich im höchsten Maß interaktiv und auf die individuellen Anforderungen und Bedürfnisse einzurichten - läßt bei der Auswahl des High-Tech-»Pantoffelkino-Programms« keinen Wunsch offen. Aber genau wie auf Terra vor dem Wechsel zum dritten Millennium ist und bleibt die so vermittelte »Nähe« fatale minillusion, zumal auf galaktischer Ebene die realen Distanzen und Größenordnungen zu wahrhaft unanschaulichen Dimensionen anwachsen. Ein Modell des Solsystems im Maßstab 1 zu 10 Milliarden bedeutet beispielsweise, daß die Sonne die Größe eines Balls von rund 14 Zentimetern annimmt.
 
Die Erde umkreist dann diesen Ball als stecknadelkopfgroßes Pünktchen in etwa 15 Metern Entfernung. Jupiter hat schon einen Abstand von 77 Metern und die Größe einer Kirsche, während die Trümmer des zerstörten Plutos fast 600 Meter entfernt sind. Der der Sonne am nächsten stehende Stern ist real mehr als vier Lichtjahre entfernt - in unserem Modell entspricht das einer Distanz von 400 Kilometern. Zehntausend Lichtjahre, ein Zehntel des Milchstraßendurchmessers, nehmen hier dann eine Million Kilometer in Anspruch, das 2,6fache der Strecke Erde-Mond ... Die Galaxis als Ganzes ist nun eine spiralige Scheibe, ein überdimensioniertes »Feuerrad« mit einem Durchmesser von 100.000 Lichtjahren und einer Dicke im Kern von vielleicht 16.000 Lichtjahren - bestehend aus 200 Milliarden oder mehr Sonnen. Hinzu kommt der Halobereich mit seinen Kugelsternhaufen, dessen Ausdehnung einen Durchmesser von 150.000 bis 200.000 Lichtjahre erreicht - in Abhängigkeit der von der »Sternendichte« zum eigentlichen intergalaktischen Leerraum geprägten »Grenzlinie«. Wie viele Sonnen Planeten besitzen und wie viele Welten zum Leben geeignete Bedingungen aufweisen, läßt sich sogar nach Jahrzehntausenden unermüdlicher Forschung nicht sagen. Wenn behauptet wird, daß die kartographische Erfassung, Vermessung und genauere Erforschung rund zehn Prozent der Milchstraße einschließt, könnte das unter Umständen schon zu hoch gegriffen sein - obwohl es um die Zahl von an die 20 Milliarden Sterne und ihrer Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen geht. Nimmt man den Einflußbereich der Arkoniden als Vergleich, der zur Blütezeit in Gestalt des Großen Imperiums rund ein Viertel der bekannten Galaxis umspannte, ist die Rede von 50 Milliarden Sonnen.
 
Wenn nur ein Prozent davon über Planeten verfügt, macht das schon 500 Millionen Sonnensysteme aus. Geht man weiterhin von nur einem Prozent Welten aus, die mehr oder weniger für Leben geeignete Umweltbedingungen besitzen, ergibt sich die Zahl von fünf Millionen, und davon wiederum ein Prozent entspricht den für das Tai Ark'Tussan genannten 50.000 Siedlungswelten. Hochgerechnet auf die Gesamtgalaxis müßte demnach von 20 Millionen Welten ausgegangen werden, die als bewohnbar bezeichnet werden können. Auf wie vielen davon hat die Natur selbständiges Leben hervorgebracht, Leben überdies, das ausreichend intelligent wurde und eigene Zivilisationen entwickelte? Es müssen Tausende sein, und die meisten davon sind weiterhin unbekannt - beim Übergang von der GAVÖK zum Ersten Galaktikum war seinerzeit von sage und schreibe 383 Mitgliedsvölkern die Rede ... Das Jonglieren mit großen Zahlen fällt leicht, die genaue Erfassung dessen, was mit ihnen verbunden ist, dagegen nicht. Genau so wenig, wie ein Continentalclipper-Passagier eine rechte Vorstellung von der zurückgelegten Strecke hat, sollte er mal gezwungen sein, sie zu Fuß zurücklegen zu müssen (Strecken überdies, die, wie praktisch, in Flugminuten oder Flugstunden gemessen werden ...), so wenig anschaulich ist einem Metagrav-Reisenden die Größe der>Milchstraße, trotz tagtäglicher Informationen von den entferntesten Welten. In dieses ebenso undurchschaubare wie riesige Gewimmel ist nun Shabazza geflüchtet!
 
Die Hauptrouten und Knotenpunkte bringen im Vergleich zum Rest zwar eine Reduzierung der Möglichkeiten mit sich, bleiben aber unter dem Strich dennoch gewaltig. Immerhin muß die Anzahl der Lebewesen entsprechend einkalkuliert werden, viele hundert Billionen sind hier vermutlich nicht zu hoch gegriffen! Shabazza, dieser Massenmörder, Täuscher und Lügner, ist als Gestalter gewohnt, »in Maske« und verdeckt zu operieren. Sofern er sich nicht im höchsten Maß dämlich anstellt oder aus lauter Übermut ganze Planeten vernichtet, artet also eine Suche nach ihm zu einer Aufgabe aus, gegen die die des Sisyphus kaum mehr als ein müder Abklatsch war ...
 
Apropos 1979: Nach der Flucht des Schah kehrt Ayatollah Khomeni in den Iran zurück, in Teheran wird die US-Botschaft gestürmt und die dortigen Mitarbeiter als Geiseln genommen; im Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harisburg ereignet sich der bis dahin schwerste »Störfall«; Mutter Theresa erhält den Friedensnobelpreis; John Wayne stirbt; Film des Jahres ist »Die Blechtrommel«.


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