Medo-"Technik"


Kommentarnummer: 1088

Heftnummer: 1964

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Mag sein, daß hochgezüchtete Apparatemedizin mitunter überhandnimmt und den Patienten auf einen mechanistischen Organkomplex auf der Basis genetischer Strukturen einzuschränken versucht. Sogar im 13. Jahrhundert NGZ ist eine solche Sicht nicht völlig ad acta gelegt, trotz oder gerade wegen vieler Erkenntnisse psychischer, psychosomatischer und paranormaler Natur, einschließlich jener Dinge, die auf die Cappins zurückgehen und mit Begriffen wie ÜBSEF-Konstante nicht sonderlich anschaulich umschrieben werden. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß die »Macht des Konservativen« keineswegs unterschätzt werden darf: Immerhin hat der Einsatz genchirurgischer Eingriffe, gentechnologisch hergestellter Medikamente und des ganzen Spektrums hochwertiger Geräte - vom Kryo-Tank über Cyborg-Ersatzteile bis zu Nano-Maschinen - unbestreitbar Erfolge vorzuweisen. Was will also der konservative Mediziner mehr? Nach dem uralten Grundsatz, daß der, der hilft und heilt, recht hat - und sei die Methode noch so umstritten -, zeigt sich hier einmal mehr die Kraft des Faktischen.
 
Natürlich gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft wie der der Liga Freier Terraner viele »Schulen«, auch und nicht zuletzt auf dem Gebiet der Medizin. Medo-»Technik« ist hierbei nur eine, und ein guter Medo-»Spezialist« demnach eher ein Generalist im Sinne des guten alten Allgemeinmediziners und Hausarztes. Er weiß auf den Patienten, seine Krankheit, die Vorgeschichte, das Umfeld und die damit verbundenen Randbedingungen - mit anderen Worten: das Ganzheitliche, die Verknüpfung von Körper, Geist und Umgebung - einzugehen und versucht daraus die individuelle, genau auf den Einzelpatienten abgestimmte Behandlung ableiten, einschließlich einer Stärkung der Selbstheilungskräfte. Letzteres ist im 13. Jahrhundert NGZ, in Verbindung mit Vorsorge und Prophylaxe, ein nicht zu vernachlässigender Faktor: Was der Patient quasi »selbst regeln« kann, bedarf keines Eingriffes von außen, wie immer der letztlich aussehen mag. Die unbestrittene Heilwirkung von »Scheinmedikamenten« - im 20. Jahrhundert alter Zeitrechnung noch gerne mit dem etwas abfälligen Begriff »Placebo-Effekt« umschrieben - spielt deshalb eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn hier gilt ebenfalls: Wer (oder was) heilt, hat recht! Zwar konkurrieren die verschiedenen Medo-Schulen miteinander und klaffen im Extrem zwischen futuristischer Intensivstation und schamanistisch angehauchter Geisterbeschwörungsstätte auseinander, unter dem Strich bestimmen aber ausschließlich die »Erfolge« darüber, ob eine dieser Medo-Schulen langfristig anerkannt wird oder rasch wieder in der Versenkung verschwindet. Zumindest auf Terra und der LFT, in ähnlicher Weise auch bei anderen galaktischen Völkern, bewegt man sich in der Tradition des hippokratischen Eids und den daraus abgeleiteten Grundsätzen: »Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten ist oberstes Gebot aller Handlungen!«
 
Dies gilt natürlich ebenso für die Ärzte der Kuntami-Klinik auf Mimas, immerhin handelt es sich bei dem Saturnmond um das Medo-Center der Terraner, das auf eine Tradition bis fast in die Anfänge des Solaren Imperiums zurückblicken kann und bestenfalls von der Hauptklinikwelt der Aras, Aralon, oder dem früheren Medo-Center der USO, Tahun, übertroffen wurde. Vor diesem Hintergrund mag die Behandlungsweise, die Michael Rhodan zuteil wird, auf den ersten Blick eher wie mittelalterliche Folterung erscheinen. Die Seelenqual, welche Gucky und Icho Tolot erleiden, bis sie sich zur Einwilligung durchringen, mehr noch beim Zusehen erfahren müssen, läßt sich mit Worten kaum ausdrücken; verbale und andere Ausrutscher muß man in dieser Ausnahmesituation mit Nachsicht betrachten. Aber es ist die einzige Methode, die Erfolg verspricht. 3,5 Millionen Mikro-Maschinen mehrschichtigen Aufbaus, aus dem Konditionierungs-Chip Shabazzas hervorgegangen, umschließen einen Kern amorph-organischer Materie, von dem Suggestivstrahlung ausgeht, deren Intensität zwar gering ist, dennoch ausreicht, Michael Rhodan zu beeinflussen. Es ist dieser Aufbau, der den Zellaktivator daran hindert, wirkungsvoll gegen das Fremde vorzugehen, das im Blut zirkuliert.
 
Weil niemand weiß, wie die Mikro-Maschinen bei einem Zugriff reagieren - sei es in Form von Nano-Operateuren oder Blutwäschen -, bleibt als einziger Ausweg, nachdem festgestellt wird, daß die Mikro-Maschinen unter anderem für radioaktive Strahlung durchlässig sind, die im Roman beschriebene Brachialmethode. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, daß die organischen Kerne als Hauptgefahrenquelle auszuschalten und die anorganischen Hüllen dann harmlos sind, so daß Michael Rhodans Organismus sie mit Hilfe von außen »programmierter« körpereigener Antikörper - in einem zweiten Schritt - umschließen und möglichst rasch ausscheiden kann. Leider erweisen sich die organischen Kerne als verdammt resistent - sie regenerieren sich sogar! -, so daß die Strahldosis bis zu einem Wert hochgefahren werden muß, der sogar an die Leistungsgrenze des Regenerationsvermögens eines Zellaktivators geht. Es ist letztlich eine sehr, sehr knappe Angelegenheit, und ob nach entsprechender Rekonvaleszenzphase Michael wieder »ganz der Alte« sein wird, kann zur Zeit niemand beantworten ...
 
Apropos 1964:
In der US-Hitparade kommt es zu einem vorher noch nie beobachteten Phänomen - fünf Titel der Beatles belegen die ersten fünf Plätze; mit dem 42 Meter hohen Riesenglobus »Unisphere« als Wahrzeichen wird die Weltausstellung in New York eröffnet; parallel zu den Bauarbeiten des Assuan-Staudamms wird die Rettung des Abu-Simbel-Tempels forciert; der »Tonking-Zwischenfall« führt zum Eintritt der USA in den Vietnam-Krieg; China zündet seine erste Atombombe


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