von Hubert Haensel
Es gab und gibt sie zu allen Zeiten und in allen Epochen, die sensationslüsterne Meute, die nach immer neuem Nervenkitzel verlangt.
Barbarische Gladiatorenkämpfe treiben das Volk ebenso zur Raserei wie unter dem Deckmantel der Zivilisation ausgerichtete
Wettkämpfe unterschiedlichster Art, die jederzeit Tote und Verletzte fordern können. Dabei suchen die wenigsten Intelligenzen
wirklich das Leid der anderen, sie genießen vielmehr die trügerische Genugtuung, nicht selbst betroffen zu sein.
Atlan vergleicht das Tai Ark'Tussan der Arkoniden mit dem römischen Weltreich seiner geliebten terranischen Barbaren, denn Arkon bot
ebenso wie Rom auf dem Höhepunkt der Macht ein Bild krasser Gegensätze. Überbordender Luxus auf der Seite der Mächtigen, Mühsal
und Elend bei den Verlierern des täglichen Kampfes um Ansehen und Anerkennung; alte Ideale werden von schamlosen Intrigen
ad absurdum geführt.
In Rom war der Circus Maximus das größte Stadion, in dem 250.000 Zuschauer an den Wagenrennen teilhaben konnten.
Das Kolosseum faßte immerhin 50.000 Personen. An einem einzigen Tag wurden dort mitunter bis zu fünftausend Tiere abgeschlachtet,
angefangen von Büffeln, Tiger bis hin zu exotischen Nashörnern. Ein Wettbewerb umfaßte durchaus Hunderte Gladiatorenkämpfe, von
denen jeder mit dem Tod des Besiegten endete.
Fast immer waren es die Herrschender, die mit den blutigen Spielen nach der Gunst des Volkes schielten und sich den Nervenkitzel der
Gemetzel zunutze machten. Julius Ceasar zum Beispiel ließ 640 Gladiatoren gleichzeitig in die Arena einmaschieren, und Kaiser Trajan
feierte seinen Sieg über Dakien mit einr gewaltigen Schlacht im Kolosseum. Während 117 Tagen traten sage und schreibe
zehntausend Kämpfer an.
Das Volk kümmerte sich nicht mehr um Politik, sondern wurde von den Spielen zur Passivität verleitet.
Falsch wäre die Behauptung, daß das Karaketta-Rennen aus ähnlichen Motiven heraus ins Leben gerufen wurde. Schließlich findet der
Rundkurs seit mehr als achteinhalbtausend Arkonjahren statt, doch die Entwicklung ist mit der fortschreitenden Degeneration absehbar
- obwohl schon lange keine Todesfälle mehr zu verzeichnen waren.
Denkt Atlan eigentlich irgendwann daran, daß er auch micht tötet, wenn er sein Leben aufs Spiel setzt? Nicht nur die Zuschauer im
unmittelbaren Umfeld des Karaketta-Rennens, sondern überall im Imperium haben sie ihr Spektakel erlebt, als die zentrale Positronik
zerstört wurde und die Gondeln ihre katastrophalen Flugeigenschaften zeigten. Innerhalb von Sekunden rasten die ersten Piloten in den
Tod, und auch Zuschauer waren von der Katastrophe betroffen.
Und nun? Es sieht danach aus, als würde alles ins Lot kommen. Vor allem, weil Timberkan da Copper wie Atlan die Nerven bewahrte und
sich, indem er Kristallprinz Laschotsch vor dem sicheren Tod rettete, den Imperator Reomir IX und die Imperatrix Siamanth für immer
verpflichtet hat. Daß Siamanth ihren Gatte in Kürze umbringen wird, steht auf einem anderen Blatt.
Verschiebt Atlan also, seine Rückkehr ins Jahr 1290 NGZ? Er versucht doch tatsächlich , seine Gedanken vor mir zu verbergen. Im
Grunde genommen ist es gänzlich unerheblich, wie lange er in dieser Epoche verweilt - wenn er es schafft, die Zeitmaschine in der
Yssods-Wüste richtig zu programmieren, kann er zu jedem Termin ins Jahr 1290 NGZ und zu den Terranern zurückkehren. Für die
Besatzung der RICO würde es immer so aussehen, als sei er nur ein paar Stunden fort gewesen. Oder auch nur Minuten.
Atlan hätte momentan also völlige Bewegungsfeiheit, ohne daß er sich den Kopf darüber zerbrechen muß, wie die Menschheit ohne ihn
auskommt. Nicht er, sondern seine Hormone haben jedoch schon entschieden - die Art, wie er Tamarena in die Arme nimmt, verrät mir
genug. Die Verantwortung für Camelot und die Menschheit treibt Atlan um. Es klingt verrückt und inkonsequent, aber es würde ihm
Probleme bereiten, Jahrzehnte hier zu verbringen. Obwohl die Menschheit in der Zukunft deshalb nicht eine Stunde länger auf ihn
warten müßte. Oder doch? Sein Argument ist jedenfalls von bestechender Logik: Falls die Zeitmaschine erneut beschädigt würde,
diesmal vielleicht sogar irreparabel, gäbe es für ihn keine Rückkehr mehr.
Andererseits muß ich ihm sagen, daß kausale Probleme auftreten könnten, falls er Tamarena wirklich mit in die Zukunft nehmen will.
Darüber ließe sich zwar trefflich streiten, aber ein anderer Grund, der gegen ein solches Vorhaben spricht, ist naheliegender: Die
Strahlung der Zeitmaschine würde Tamarena töten, da sie keinen absorbierenden Zellaktivator besitzt.
Nicht einmal im Schlaf kommt Atlan zur Ruhe. Zum ersten Mal fällt es ihm wirklich schwer, eine Entscheidung zu treffen. Die Versuchung
ist groß - er kennt die Zukunft, erinnert sich dank seines photographischen Gedächtnisses an unbedeutende Kleinigkeiten, die dennoch
den Lauf der Geschichte verändern könnten. In diesem speziellen Fall halte ich seine Erinnerung an die Zukunft für eine schwere Bürde.
Atlan träumt tatsächlich davon, mit Tamarena einige Jahrzehnte zu verbringen, außerdem lockt ihn die Vorstellung, noch einmal Mirona
Thetin, die letzte MdI, in Andromeda zu treffen und diesmal einiges anders zu machen ...
Er ist und bleibt ein sentimentaler Narr. Wissenlich solche Zeitparadoxa in Kauf zu nehmen, das können nur Barbaren. Wieviel würde
danach noch so sein, wie wir es kennen?
|