Atlan - Extrasinn aus Atlan - Traversan-Heft 9          Extrasinn - Übersicht

Symptome des Niedergangs

von Hubert Haensel

Nur 102 Lichtjahre von Arkon entfernt umkreist der Gerichtsplanet Celkar seine rote Sonne. Nach Arkon ist das Monhor-System das wohl am besten beschützte im Großen Imperium. Und das kommt nicht von ungefähr, denn Celkar war und ist "der" Gerichtsplanet des Tai Ark'Tussan.
Es gibt kein Verbrechen, das nicht auf Celkar abgeurteilt wird. rund um die Uhr finden Zehntausende Verhandlungen statt - eine gigantische, ausschließlich auf Rechtsprechung (oder was volksläufig dafür gehalten wird) ausgerichtete Maschinerie. Doch nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Prozesse finden überhaupt außerhalb der Gerichtsmauern Beachtung. Das Medieninteresse gilt allein den spektakulären Großprozessen, die via Hyperfunk bis in die entlegensten Regionen des Imperiums ausgestrahlt werden.
Prunkvolle Zeremonien sind es, in denen die Angeklagten kunstvoll und nach dem Wortlaut der hochkomplexen Gesetze überführt und abgeurteilt werden. Aber Täter und Strafe bedeuten eigentlich nur Beiwerk in diesem gewaltigen Szenario, das vor allem die uneingeschränkte Macht der imperialen Exekutive demonstriert. Die Gesetzeshüter gefallen sich in üppiger Selbstdarstellung, die Medien in sensationslüsterner Effekthascherei, und das Volk sieht staunend und mit großen Augen zu und begreift gar nicht, daß es längst zur manipulierbaren Masse geworden ist.
Auf Arkon I, bevor er die Passage auf der DARIO MAUT buchte, hatte Atlan ausreichend Gelegenheit, sich mit den aktuellen Gegebenheiten der Gerichtsbarkeit vertraut zu machen.
Heute wie vor beinahe zweitausend Jahren ist die "Arena der Gerechtigkeit" das Zentrum der Rechtsprechung, ebenso gelten noch die alten, fast archaisch anmutenden Regeln, die weder Anklage noch Verteidigung Positroniken überlassen, sondern ausschließlich der Geschicklichkeit und Wortgewandtheit der Juristen. Der Gefängniskomplex ist eine zweihundert Meter hohe, schräge und uneinnehmbare stählerne Festun. Wenn Prinzessin Tamarena, Irakhem und die anderen dort untergebracht wurden, gibt es keine Möglichkeit, sie auf irgendeine Weise zu befreien, nicht einmal eine schlagkräftige Flotte würde dafür ausreichen.
Atlan kennt Celkar, teils sogar aus eigener leidvoller Anschauung. Seit er erfuhr, wohin Tamarena und ihre Begleiter deportiert wurden, träumt er wieder von den letzten Tagen seines Kampfes gegen den Usurpator Orbanaschol III. Er spricht davon, daß ein photographisches Gedächtnis Segen und Fluch gleichermaßen sein kann, aber das ist irrational. Die Möglichkeit, jederzeit alle Informationen parat zu haben ist ein unschätzbarer Vorteil, das habe ich ihm deutlich zu verstehen gegeben. Nach der Zerstörung ihrer Stützpunktwelt Kraumon durch Methans hatten sich Atlan und sein Lehrmeister Fartuloon als angebliche Deserteure der Flotte einer Fluchthilfeorganisation anvertraut und waren prompt gefaßt worden. In einem Schauprozeß hatte man beide zum Tode verurteilt...
Werden auch Tamarena und ihre Begleiter die Opfer eines Schauprozesses? Zweifellos hat Cooligar sie der Verschwörung und des Hochverrats bezichtigt, und das Todesurteil ist zu erwarten.
Abbild des gesellschaftlichen und kulturellen Niedergangs des Großen Imperiums ist natürlich die Art und Weise, wie Verurteilte vom Leben zum Tod befördert werden. Daraus ein Schauspiel für die halbe Galaxis zu machen, entspricht der Degeneration - der Tod an sich als Freizeitgestaltung reizüberfluteter, satter und träger Arkoniden. Wie die Khasurn nicht müde werden, sich in immer neuem Pomp und rauschenden Festen zu überbieten, so steigert sich die Perversion voyeuristischer Darbietungen immer mehr zum Exzeß.
Atlan hatte seine Kabine an Bord der DARIO MAUT kaum bezogen, als Arkon-Vision (das selbe Arkon-Vision, da schon zu Orbanaschols Zeiten von Celkar aus berichtete) eine Hinrichtung übertrug, eine abschreckende Grausamkeit, die in einer mehrfachen Tötung des Verurteilten gipfelte. Jedesmal hatten Medoroboter im allerletzten Moment eingegriffen und den Delinquenten mit Injektionen und Elektroschocks ins Leben zurückgeholt. Unglaubliches Entsetzen, gepaart mit Panik und verzweifelter Resignation hatten das Gesicht des Verurteilten zur Fratze verzerrt, und das selbstverständlich in quotenträchtiger Großaufnahme. Nein, so will Atlan kein intelligentes Wesen und schon gar nicht Tamarena sterben sehen.
Nach dem überraschenden Tod Cooligars, der der selbstzerstörerischen Wirkung seiner Eyemalin-Sucht zum Opfer fiel, muß Atlan keinen Verfolger mehr fürchten. Trotzdem bleibt ihm wenig Zeit, weil er nicht weiß, wann der Prozeß gegen seine Freunde stattfinden wird.
Eins ist klar: Mit Waffengewalt kann und wird der Unsterbliche sein Ziel nicht erreichen, er muß andere Mittel und Wege finden, aber dabei äußerst behutsam vorgehen. Niemandem wäre gedient, geriete er selbst in die Mühlen der Justiz. Möglich, daß ihm das Schicksal mit der Bürgerrechtlerin Tsuara eine Trumpfkarte in die Hand gespielt hat, obwohl sie eher seines Beistands bedarf. Aber auch die Aktivisten vom Planeten Luccia darf er nicht außer acht lassen. Alles was geeignet ist, die Routine von Celkar zu durchbrechen, bringt ihn vielleicht weiter. Insofern muß er dem Siegelträger Cooligar posthum noch dankbar sein, denn die erbeutete Agentenausrüstung läßt ihn Wichtiges erfahren...