von Hubert Haensel
Nun weiß Atlan also, wer für den Mordversuch auf Links-Aubertan verantwortlich ist. Cooligar, ein drogensüchtiger Agent der
Tu-Ra-Cel, der Geheimpolizei des Imperators. Er hat zugleich die Vernichtung des Zirkusschiffs OSA MARIGA und den Tod der
meisten Besatzungsmitglieder zu verantworten. Als Träger des Imperatorensiegels verfügt er in der Tat über weitestgehende
Machtmittel.
Zu allem Überfluß hat seine Motivation in keiner Weise mit dem Anliegen derer von Traversan zu tun, obwohl er drauf und dran ist,
die Hoffnung einer ganzen Planetenbevölkerung zu zerstören. Es geht Cooligar nicht um Steuern oder darum, Rebellen zu bestrafen,
die es gewagt haben, der Flotte des Sonnenkur Pyrius Bit die Stirn zu bieten - er will einzig und allein Atlan.
Damit sind Vermutungen zu Gewißheit geworden: Altao da Camlo, der märchenhaft reiche Industriekapitän, der es glänzend
verstanden hat, sich das Vertrauen, der Imperatrix Siamanth zu erwerben, ist durchschaut. Zweifellos haben die unverfälschbaren
Individualmuster, seine Gehirnströme ebenso wie die Aura des Zellaktivators, Atlan schon auf Links-Aubertan verraten. Und das
obwohl seit seinem spurlosen Verschwinden auf Arkon rund 1800 Jahre vergangen sind. Unter anderen Umständen hätte wohl
niemand bemerkt, daß Altaos Individualdaten mit denen des längst verstorbenen Kristallprinzen Mascaren da Gonozal identisch sind,
doch im Umfeld seiner Erhabenheit des Imperators herrscht äußerste Gründlichkeit.
Ein längst für tot erklärter und überraschend wiederaufgetauchter Kristallprinz da Gonozal wäre das Ende der Herrschaft von Reomir IX.
Kein Wunder also, daß umgehend versucht wurde, Atlan zu beseitigen.
Atlan könnte diesen Umstand nutzen und sich öffentlich zu erkennen geben. Nur wären weitere und äußerst diffiziele Probleme
vorprogrammiert, der Sache von Traversan würde er damit einen Bärendienst erweisen. Vordergründig hätte er zwar die Befugnis,
Traversans Widerstand zu sanktionieren und die Vergeltung auszusetzen. Die Mordversuche zeigen indes deutlich, daß
eingefahrene Machtstrukturen schwer zu kippen sind.
Atlan muß sich fragen, wie weit inzwischen seine wahre Identität bekannt ist. Die Antwort darauf scheint einfach. Cooligar kocht sein
eigenes Süppchen, er verspricht sich extreme Vorteile von einem Unsterlichen und wird schon deshalb sein Wissen nicht an die große
Glocke gehängt haben.
Cooligar ist überaus intelligent, er beherrscht die Praxis der Intrige, daran kann auch seine Eyemalin-Sucht nichts ändern. Er weiß, daß
Atlan, die durchschnittliche arkonidische Lebenserwartung zugrunde gelegt bestenfalls bis um 10.610 da Ark gelebt haben kann. Aber
heute schreiben wir das Jahr 12.402 da Ark. Natürlich kennt der Tu-Ra-Celista die Legenden von einer "Welt des ewigen Lebens", die
irgendwo in den Weiten der Milchstraße zu finden sein soll. Jedes intelligente Wesen träumt irgendwann von der Unsterblichkeit, das
liegt in der Natur begründet.
Doch plötzlich bietet ihm das Schicksal einen greifbaren Hinweis. Weil auszuschließen ist, daß Individualtaster ein falsches
Schwingungsmuster leifern. Zuerst muß Cooligar entsetzt gewesen sein, er scheint ein Attentat oder die Machtübernahme vermutet
zu haben und reagierte deshalb mit der umgehenden Liquidation der Anomalie - spätestens nach dem Angriff auf das Zirkusschiff
muß ihm klargeworden sein, was ein nach beinahe zwei Jahrtausenden wieder aufgetauchter Kristallprinz Mascaren Gonozal für ihn
bedeutet. Cooligar will für sich die Unsterblichkeit. Er hat abgewägt, ob Atlan die Jahrtausende auf andere Weise überstanden haben
kann, und scheint zu einem für ihn eindeutigen Ergebnis gelangt zu sein.
Naheliegend ist der Gedanke an einen Dilatationsflug. Die Geschichte Arkons verzeichnet die Namen einiger Schiffsbesatzungen, die
nach dem Ausfall ihrer Transitionstriebwerke keine andere Wahl mehr hatten, als relativistische Effekte in Kauf zu nehmen, um ins
Tai Ark'Tussan zurückzukehren. Aber obwohl viele dieser Männer und Frauen nach ihrer Rückkehr Unbekannte waren und weder
Freunde noch Verwandte mehr vorfanden, wurden im Dilatationsflug nie mehr als fünf Jahrhunderte überbrückt. Es ist nicht bekannt,
ob besonders Verrückte versucht haben, die Relativität für einen weiteren Sprung in die Zukunft zu nutzen.
Interessanter erscheint da zweifellos die Möglichkeit eines künstlichen Tiefschlafs. Die Hibernation erlaubt es, ohne gesundheitliche
Schäden maximal 420 Arkonjahre zu schlafen. Jedoch steigt schon bei zwei bis drei Tiefschlafphasen hintereinander das Risiko
irreparabler Gehirnschäden beträchtlich an. Niemand wird freiwillig ein solches Risiko eingehen. Atlan selbst hat es ausprobiert, hat
von ungefähr zehntausend Jahren nur etwa dreihundert bewußt erlebt und den Rest in seiner Tiefseekuppel verbracht. Daß dies ohne
schädigende Nebenwirkungen geschah, ist aber der Wirkung des Zellaktivators zuzuschreiben.
Doch davon weiß Cooligar nichts. Für ihn liegt Atlans überraschendes Auftauchen also durchaus an der Grenze nachvollziehbarer
Einflüsse. Das mag anfangs auch seine Intention gewesen sein, nur hat er sich mittlerweile dafür entschieden, an die "Welt des
ewigen Lebens" zu glauben. Eine gehörige Portion Wunschdenken dürfte dabei eine Rolle gespielt haben, denn Cooligar weiß, daß
das Eyemalin ihn über kurz oder lang zugrunde richten wird.
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