von Hubert Haensel
Wie verwirrend, zeitweise auch verlogen sind doch die Gefühle zwischen Mann und Frau, vor allem dann, wenn große Politik mit ins Spiel
kommt. Zweifellos ist Imperatrix Siamath eine begehrenswerte, aber auch äußerst gefährliche Frau. Atlan wußte, daß er mit dem Feuer
spielte, als er sich mit ihr einließ, und die Imperatrix suchte wohl außer einer Reihe leidenschaftlicher Nächte mit dem furchtlosen
Saurier-Fütterer in erster Linie einen Helfer für den geplanten Mord an ihrem Gatten, Imperator Reomir IX. Dieser Mord ist geschichtlich
für das Jahr 12.402 da Ark verbürgt. Seine Erhabenheit versucht seit langem, Führungsschwäche durch pompöses Gehabe zu
überspielen; er stellt sich weit weniger den anstehenden Regierungsaufgaben, als er Ablenkung in rauschenden Festen und
Jagdausflügen sucht. Imperatrix Siamanth zieht mittlerweile aus dem Hintergrund an den Fäden der Macht, aber erst nach dem
Dahinscheiden Reomirs IX wäre der neue Imperator, ihr Sohn Laschotsch, eine wirkliche Marionette unter ihrem Einfluß.
Wie auch immer, für Atlan war sein kurzes Tête-à-tête mit Siamath ebenfalls nur Mittel zum Zweck, um die Probleme Traversans zu
lösen. Die Imperatrix brachte ihn mit Oberbeschaffungsmeister Kemarol da Andeck zusammen, dem maßbgeblichen Mann, der mit einem
Machtwort alle Schwierigkeiten hätte beseitigen können.
Ist es eine Ironie des Schicksals, daß Atlan ausgerechnet bei dieser Gelgenheit erfuhr, daß er durch einen fingierten Unfall sterben soll?
Die Warnung verdankte er Prinzessin Tamarena da Traversans telepathischen Fähigkeiten. doch keiner der Attentäter kannte den
Grund, weshalb sie Altao täten sollen. Sie waren ausschließlich Befehlsempfänger.
Wer steckt hinter dem geplanten Anschlag, der zumindest auf Links-Aubertan nicht so ablief, wie der Unbekannte sich das vorgestellt
hatte?
Die erste Vermutung gilt dem Imperator höchstpersönlich. Reomir IX mag aus obskuren Quellen erfahren haben, wie oft Altao da Camlo
- auch für längere Zeit - in den Privatgemächern seiner Gattin weilte. Daraus gewisse Schlüsse zu ziehen bedarf keiner besonders
ausschweinfenden Phantasie; Altao ist ein stattlicher Mann, und sein Mut hat er im Kjörk-Käfig hinreichend bewiesen. Doch dem
Imperator stünden weitaus subtilere Methoden zur Verfügung, einen Nebenbuhler ohne Aufsehen aus dem Weg zu räumen, als ein
fingierter Unfall.
Wenn die Gegner Atlan außerhalb des Banketts auflauerten, bedeutet das doch nur, daß sie den Festsaal nicht betreten konnten, in dem
absolutes Waffenverbot herrschte. Reomir IX selbst oder seine Gemahlin Siamath hätten dieses Verbot aufheben können. Daraus zu
folgern, daß der Imperator nichts mit dem Anschlag zu tun hatte, liegt leider nahe. Ich sage leider, weil ein bekannter Gegner leichter
einzuschätzen ist. Oder wollte der Imperator verhindern, daß auch nur der Schatten eines Verdachts auf ihn fiel?
Daß es immer einen Ausweg gibt, weiß Atlan aus jahrtausendelanger Erfahrung. Auf Links-Aubertan konnte er entkommen, weil er die
zentrale Programmierung aller Dienstroboter veränderte. Wenn Feuer die brennbaren Teile der Saaldekoration entzündet und
alkoholische Getränke als Brandbeschleuniger dienen, wenn dazu das Gebrüll mörderischer Bestien, die eben noch zur Belustigung der
dekadenten Seelen dienten, die Luft erzittern läßt, geraten Hunderte hochedler Gäste in Panik. Sie lieben die Völlerei, das süße
in-den-Tag-hinein-leben, aber sie sind einem jähem Umschwung und der spürbaren Bedrohung der eigenen Existenz nicht mehr
gewachsen.
Atlan wagt die Flucht im Käfig des Kjörk, im Brustbeutel der Raubechse, indem er wieder die Laute eines neugeborenen
Saurierjungen nachahmte. In dem allgemeinen Chaos wurden wohl die Käfige der Raubtiere nicht nach Individualmsutern abgesucht.
Wer immer den Befehl für das Attentat gegeben hat, es muß sich um eine hochgestellte Persönlichkeit handeln, denn über
Individualspürer kann längst nicht jeder verfügen. Also vielleicht die Geheimpolizei des Imperators, die Tu-Ra-Cel? Falls die falsche
Identität der Delegation um Altao da Camlo aufgedeckt wurde, wäre das ein ausreichender Grund. Die Sicherheit des Imperators, seiner
Gattin und des Kristallprinzen stünden auf dem Spiel.
Aber warum dann nur Atlan? Weshalb nicht ebenso Tamarena und die anderen als Opfer des Attentats und weshalb keine spontane
Verhaftung, für die jeder Gast des Imperators volles Verständnis aufgebracht hätte? Nein, die Tatsache, daß nur Atlan Zielscheibe der
Aktivitäten ist und daß Individualspürer eingesetzt werden, läßt nur eine einzige logische Folgerung zu:
Altao da Camlo wurde als der Mann identifiziert, der er wirklich ist, als Kristallprinz Mascaren da Gonozal.
Damit habe nicht einmal ich gerechnet. Aber das liefert auch das Motiv; ein Mascaren da Gonozal könnte jederzeit seine Ansprüche auf
den Kristallthron geltend machen, wahrscheinlich verbunden mit einer blutigen Palastrevolte. Atlan will das nicht - würde er die
Probleme Traversans auf diese Weise zu klären versuchen, würden sie sich schlagartig potenzieren, abgesehen von der gravierenden
Veränderung der Geschichte. Es gab 12.402 da Ark keinen Imperator Gonozal und auch nicht in den Jahren danach.
Somit bleibt die Frage, wer der Verfolger ist, der dem Zirkusschiff OSA MARIGA mit einem 800-Meter-Schlachtschiff nachjagt und
kompromißlos das Feuer eröffnen läßt. Seine Machtmittel müssen jedenfalls nahezu unbegrenzt sein.
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