von Kurt Mahr
In dem mit Band 600 beginnenden Zyklus der Perry-Rhodan-Serie taucht zum ersten Mal im Rahmen der Serie das Thema
der parallelen Universen oder der parallelen Bezugsebenen auf. Es ist dies ein faszinierendes Thema, das mancher von uns in seinen
eigenen Romanen, also außerhalb der Serie, schon angesprochen hat. Es lassen sich zu diesem Fragenkomplex Überlegungen anstellen,
die schließlich zu einem Modell führen, mit dem sich die Existenz von Paralleluniversen hypothetisch erklären läßt. Gleichzeitig kommt
man erst beim Durchdenken des Modells darauf, wie vielfältig und schillernd das Bild eigentlich ist, das sich da vor einem auftut.
Die folgenden Überlegungen sind völlig hypothetisch oder, wenn Sie so wollen, utopisch. Sie werden durch keinerlei
Erkenntnis der heutigen (September 1974) Wissenschaft gestützt oder auch nur plausibel gemacht.
Unsere Gedanken gehen von der Vorstellung aus, daß ein Universum aus einer großen, aber endlichen Zahl kosmischer Bausteine
besteht und in eine noch größere, aber ebenfalls endliche Zahl von kosmischen Bauzellen zerfällt. Welches die Natur der Bausteine
ist, ist dabei unerheblich. Ob es sich dabei um ein Elektron oder ein noch zu entdeckendes Teilchen handelt, spielt keine Rolle. Wichtig
ist nur, daß alle Materie aus solchen kosmischen Bausteinen besteht und daß es kein elementareres Teilchen gibt als eben unseren
Baustein. Die Bauzellen auf der anderen Seite müssen, wenn wir einmal nur über die geometrischen Aspekte reden, gerade so groß sein,
daß ein Baustein - auf keinen Fall mehr! - darin Platz findet. Für die Zelle - da die Zahl der Zellen größer ist als die Zahl der Bausteine -
gibt es zwei mögliche Zustände: voll (d. h. mit einem Baustein besetzt) oder leer.
In unserem Bild entspricht einem Universum eine bestimmte Verteilung aller Bausteine über die Gesamtheit der Zellen. Eine andere
Verteilung entspräche einem zweiten Universum, und so weiter, und die Gesamtheit der erzielbaren Universen ist gleich der Zahl der
möglichen Kombinationen der Bausteine über die Zellen. Wir wollen und das an einem primitiven Beispiel verdeutlichen. Wir denken
uns einen "Baukasten zur Anfertigung eindimensionaler Universen", der fünf Zellen und drei Bausteine enthält. Mit den Mitteln, die
der Baukasten enthält, lassen sich insgesamt zehn primitive Universen erschaffen. Volle Zellen sind dabei durch ein X markiert.
Die Zahl der möglichen Kombinationen ist mit 10 erschöpft. Dabei ist es selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Bausteine sich
nicht voneinander unterscheiden, daß sie also keinen Namen haben oder etwa von unterschiedlicher Farbe sind.
Die Zahl der möglichen Kombinationen - nennen wir sie Z - läßt sich mathemathisch bestimmen, wenn Nb (die Anzahl der Bausteine)
und Nz (die Anzahl der Zellen) bekannt sind. Sie errechnet sich zu:
Z = "Nz über Nb"
oder:
Z = Nz! / (Nb! * (Nz - Nb)!)
Dazu ein kurzer, schmerzloser Ausflug in die Mathematik: Die Ziffer 5! (gesprochen "fünf Fakultät") ist gleich dem Produkt
aller Zahlen von eins bis fünf, als 5! = 1 * 2 * 3 * 4 * 5 = 120. Im Falle der Abbildung 1 war Nz = 5, Nb = 3. Durch Einsetzen in die Gleichung
gewinnen wir:
Z = 5! / (3! * 2!) = 120 / (6 * 2) = 10
Was zu beweisen war.
In seiner Primitivität führt das Model vielleicht zu falschen Vorstellungen. Um der Wirklichkeit einen winzigen
Schritt näher zu kommen, denken wir uns ein Kleinstuniversum mit einem Durchmesser von einem Lichtjahr. Wir denken uns
weiterhin das Elektron als kosmischen Baustein. (Wir sagen zuvor, daß wir über die Identität des Bausteins keine Annahmen zu
zu machen bräuchten. Um mit Zahlen aufwarten zu können, müssen wir es dennoch tun. Dabei hat das Elektron einen Vorteil:
Wir glauben zu wissen, daß der elementare kosmische Baustein, wie immer er auch aussehen oder heißen mag, nicht größer
und nicht schwerer als das Elektron sein kann.) Mit diesen Annahmen stellen wir folgende Rechnung an. Ein kugelförmiges
Universum von einem Lichtjahr Durchmesser hat ein Volumen von 4,43 * 10^53 cm³. Ein Elektron mit einem Radius von etwa
1 * 10^-13 cm beansprucht ein Volumen von 4,2 * 10^-39 cm³. Etwa von dieser Größe muß auch die Zelle sein. Damit beträgt
die Zahl der Zellen in unserem Kleinstuniversum:
Nz = (4,43 * 10^53) / (4,2 * 10^-39) = 1,06 * 10^92
Nehmen wir weiterhin an, daß die gesamte in unserem Kleinstuniversum enthaltene Masse etwa gleich der Sonnenmasse,
also 2 * 10^30 kg, ist, dann beträgt die Zahl der Bausteine, wenn wir von einer Elektronenmasse von 1 * 10^-39 kg ausgehen:
Nb = (2 * 10^30) / (1 * 10^-330) = 2 * 10 ^60
Wer sich die Mühe machen möchte, diese Zahlen in die Geleichung ganz oben einzusetzen, dem sei dazu viel Glück
gewünscht. Das Ergebnis, nämlich die Zahl der möglichen Kombinationen (oder Universen) liegt bereits bei diesem
vergleichsweise winzigen Modeluniversum über 10^100 (also eine Zahl mit 100 Nullen vor dem Komma) und damit bei einem
Wert, den sich auszumalen oder vorzustellen man sich keine Mühe machen sollte.
Wichtig ist nur das Eine: - Die Zahl ist riesengroß, aber endlich.
Gehen wir nun, als Schlußschritt, zu einem ausgewachsenem Universum über, dessen Durchmesser zumindest einige
Milliarden Lichtjahre beträgt und über das Materie mit einer Masse von Hunderten von Milliarden Sonnenmassen verteilt ist, so
werden die Zahlen vollends grotesk. Aber sie bleiben dennoch endlich! Die Sache wird weiterhin kompliziert durch den Umstand,
daß eine dreidimensionale Koordinatenangabe zur Bestimmung des Zustands eines kosmischen Bausteins nicht ausreicht. Dazu
müssen noch der Impuls (eine vektorielle Größe, darum ebenso wieder dreidimensional) und die Energie treten. Erst durch Angabe
des Ortes, des Impulses und der Energie ist der Zustand eines kosmischen Bausteins vollkommen beschrieben, so postulieren wir
in unserer Hypothese.
Es ist interessant, daß in unserem Model der Begriff der Zeit überhaupt keine Rolle spielt. Er ist, wie bei genauerem
Hinsehen deutlich wird, auch gar nicht erforderlich. Da durch die Variation der Kombinationen von Bausteinen und Zellen alle
denkbaren Universen verwirklicht sind, existieren (in unserem Bild: nebeneinander) ein Universum, in dem die Erde sich im Zustand
der präkambrischen Entwicklung befindet, ein zweites, in dem in Europa gerade die Bronzezeit angebrochen ist, ein drittes, in dem
Herr Bahr gerade den Grundlagenvertrag paraphiert, und ein viertes, in dem Perry Rhodan soeben den neuen Antimaterie-Reaktor
zum ersten Mal ausprobiert. Der Ablauf der Zeit wird durch einen Wahrnehmungsvorgang ersetzt, in dem das menschliche
Bewußtsein eine Sequenz von Paralleluniversen wahrnimmt. Es scheint da bestimmte Auswahlregeln zu geben, denn es geschieht
selten, daß sich ein Mensch beim Aufwachen in eine völlig andere Welt versetzt sieht, die der, in der er sich zur Ruhe begab, in
keinem Zuge gleicht. Das Bewußtsein des Menschen scheint sich also in Quantensprüngen zu bewegen, wobei ein Quantensprung
dem geringstmöglichen Unterschied zwischen zwei Paralleluniversen gleichzusetzen ist.
Die Möglichkeiten, die sich aus diesem Modell für die Beschreibung absonderlicher oder übernatürlicher Fähigkeiten ergeben, brauche
ich nur anzudeuten. Derjenige, dem die Begabung zuteil geworden ist, in weit entfernte Paralleluniversen zu schauen, wird zum
Hellseher. Die Begabung der Telekinese erscheint in völlig anderem Licht. Der Telekinet bewegt in Wirklichkeit nichts; er zwingt
lediglich das Bewußtsein seiner Umgebung, ihm in ein Paralleluniversum zu folgen, in dem der zu bewegende Gegenstand plötzlich
nicht mehr am Ort A, sondern am Ort B sich befindet. Und so weiter. Die Möglichkeiten sind unabzählbar.
Man kann sich vorstellen, daß jedes dieser unglaublich vielen Paralleluniversen einen bestimmten Zustand verkörpert. Der Unterschied
zwischen diesem Universum und demjenigen, von dem es durch die geringstmögliche Variation getrennt ist, wird zu einem
Energiequant. Weiter entfernte Universen entsprechen einem Energiezustand, der von dem des unseren um viele Quanten, also um
einen größeren Energiebetrag, getrennt ist. Soll der Übergang von dem unseren in ein weit entferntes Paralleluniversum erzwungen
werden, so ist es notwendig, den Unterschied der beiden Energiezustände entweder aufzubringen oder zu absorbieren, je nachdem, ob
die Reise in ein energetisch reicheres oder ärmeres Paralleluniversum gehen soll. So kann man sich vorstellen, daß ein Objekt, das von
den ungeheuren Energien einer explodierenden Supernova getroffen wird und diese absorbiert, nicht physischen Schaden erleidet,
sondern stattdessen in ein energetisch reicheres Paralleluniversum geschleudert wird. Umgekehrt verschwindet ein Körper, der
unter gewaltigem Energieaufwand explodiert, in ein energetisch ärmeres Paralleluniversum.
Wir sind bisher von der Annahme ausgegangen, daß Paralleluniversen sich nicht in der Zahl der Bausteine oder Zellen,
sondern nur durch die Verteilung der Bausteine über die Zellen unterscheiden. Es bleibt jedem überlassen, sich "entartete"
Paralleluniversen zu denken, in dem auch die Zahlen der Bausteine und Zellen von denen der "normalen" Universen unterschieden
sind. Schließlich bedarf diese Abhandlung noch eines letzten Hinweises: Dieses Modell der Paralleluniversen geht von einem
durch und durch materialistischen Ausgangspunkt aus. Ein Universum darf sich zum Beispiel nicht dadurch von einem anderen
unterscheiden, daß ein Mensch in dem einen anders denkt oder anders empfindet als in dem anderen. Gedanken und
Empfindungen sind ebenso wie geometrische und energetische Struktur durch die Verteilung der Bausteine über die Zellen bestimmt.
Deswegen mag dieser Ausblick einigen unter uns nicht sonderlich sympathisch erscheinen, worauf ich an dieser Stelle hingewiesen
haben möchte.
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